Donnerstag, September 28, 2006

Tagebuch Ende

am 2.9.2001 flog ich nach New York, um den Geburtstag meines New Yorker Galeristen mit zu feiern. Ich hatte bereits Wochen vor dem Flug
eine mir völlig unerklärbare Angst vor dem Aufenthalt in New York.
Dies ist mein Tagebuch aus der Zeit vom 2.9 bis zum 18.9.2001

Barbara Fahrner, Frankfurt/Main

18.September

6 Uhr morgens. In Frankfurt. Ins Leben gekommen. Das Wort: BIN LADEN spukt mir ständig im Kopf herum. Ich habe die Asche der Toten vom 11.September an meinen Sandalen mit nach Deutschland gebracht. Das habe ich erst heute morgen gesehen.

Mittwoch, September 27, 2006

15.September

Samstag morgen. Gegen 10Uhr erfahre ich, ob ich fliegen kann. Mary schnarcht, Steve pinkelt. Ich mache Kaffee. Julie schläft, die Kinder schlafen. Mary stöhnt, schnarcht, stöhnt und ruft:“Jesus!“ Draußen herrscht der fast normale Lärm. Ich halte fast den Atem an, so angespannt hoffe ich auf einen Flug heute abend.
Julie geht heute mit den Kindern aus NY fort. Von 10-13Uhr versuche ich Singapore Airlines zu erreichen. Kurz nach 13Uhr erfahre ich, dass ich einen Platz in der Maschine um 21.45 habe. Ich kann nach Hause. Ich verlasse sofort das Apartement und verbringe den Tag hier auf dem Flughafen. Nur raus, nur raus hier.

Montag, September 25, 2006

14.September

Flughäfen geschlossen. Heute kommt dieser schreckliche Bush.
Tagesablauf: sitzen, warten, reden, telefonieren. Kindergeschrei, große Nervosität bei allen. Raus auf die Treppe für eine Zigarette. Von Zeit zu Zeit eine kurze Unterhaltung mit Menschen, die vorbeigehen. Mary, Judith und ich, wir sind die, die hier festsitzen. Stranded travellers.
In der Nacht von Kuchen geträumt, von einer herrlichen Bäckerei, zu der mein Vater, meine Mutter und ich gehen. Sie bleiben draußen und warten, mein Vater ist in erstaunlich guter Form. Das Anstellen macht Probleme, ich meine, es würden sich Frauen rücksichtslos vordrängen, aber dann kann ich viel Kuchen kaufen. Seit heute morgen ist die Sperre wieder auf und es fahren Autos. So werde ich wohl ein Taxi finden. Aber wann komme ich von hier fort?
Confirmed my flight for wensday,18. Wer weiß, ob der Flughafen dann auf ist.
Titelblatt einer Zeitung: NY’s tragic face .Sie zeigen eine gut geschminkte Blondine, die den Mund verzieht.
Abends. Ich habe mit einer deutschsprechenden Angestellten von SingaporeAirlines gesprochen. Wenn ich Glück habe, kann ich morgen Abend fliegen.
Der Tag war unangenehm und sorgenvoll. Wir gehen uns auf die Nerven. Steve ist sehr gereizt. Ich will nur weg, weg aus dieser Stadt. Ich ertrage diese amerikanische Art der sentimentalen Uebertreibung nicht, mir geht die Sprache auf den Geist, ich kann und will mich nicht mehr verständigen.
Heute waren wir im Whitney. Ich sah Gorky’s wunderbares Bild: Portrait der Mutter mit Sohn, einen orangeroten Rothko, einen schwarz-weißen Kline. Sie haben einen Raum eigens für „stories“, Zeichnungen mit Text.Vom Whitney bin ich die 27. runtergelaufen, um allein zu sein. Erst die Madison runter, vorbei an den Luxusgeschäften und den reichen Damen, die wie sonst einkaufen. Ein paar Nobelläden- so der von Dona Karan- waren – laut Schild- wegen Anteilnahme geschlossen. Möge ich Glück haben und morgen fliegen. Ich halte es hier nicht mehr aus. Habe den Mann mit dem Kreuz wiedergesehen, mit Kreuz, Schild und Besen.

Sonntag, September 24, 2006

13.September

Vier Flugzeuge von Terroristen haben die Welt mit ihren Todesstürzen verändert. 2 fliegen in das Worldtradecenter, 1 fliegt ins Pentagon, irrtümlich, Ziel war das weiße Haus. Das 4. stürzt in ein Waldstück, nachdem die Passagiere, wissend, dass sie sterben werden, die Terroristen wohl angegriffen haben. 40- 60 Menschen saßen in jedem Flugzeug.
Ich bin wie versteinert, nur noch auf Sparflamme lebendig, kann kaum noch reden. Wir verbringen den Tag mit Warten, ich laufe ein bisschen rum. Wir sitzen, warten, reden, wobei die anderen reden. Ich bin meist stumm. Steve geht aus dem Haus.
Heute, 21.45 ginge mein Flugzeug. Ich hoffe, es startet. Noch sind die Flughäfen gesperrt. VEHE! Laß mich heute aus dieser Stadt raus! Bitte! Wieder habe ich gegen meine innere Stimme gehandelt. Ich hatte solch „unbegründete“ Angst vor der Reise nach NY.

Samstag, September 23, 2006

12.September

9 Uhr. Canalstreet- Churchstreet. Canalstr. Ohne Leben. Von hier durch die Churchstr. blickend sehe ich die Verwüstung. Ich habe nichts mehr zu notieren, es ist einfach zu lähmend.
Aufräumfahrzeuge, Polizei, Militär. Ein junger Typ mit Maske, Schaufel, Rucksack verlangt an der Sperre Einlaß. Er will helfen. Westbroadway, Canalstr., es raucht. Auf dem Kopfsteinpflaster von Westbroadway liegen fingernagelgroße Würmchen. Als ich näher komme: es sind kleine verschmolzene Aluminiumteilchen.

Donnerstag, September 21, 2006

11. September

6.30 schlafe endlich besser. Heute überraschend um 2Uhr Verabredeung mit einem Kurator der National Library; also werde ich die Enzyklopädie dorthin schleppen. Ich möchte jetzt schnell nach Hause. Kein Ort nirgends. Es sei denn im Buch.
After Laotze joined the immortals, he was reborn as Sayamuni. I have to nourish my inner energy! Was ist , wenn die letzten Unsterblichen nicht mehr wiederkommen und uns auf Erden alleine lassen? Red Pine’s Meinung dazu: The flower and the wind are old friends. If HanShan seeds could reach eastern china, perhaps they could cross the ocean.

Nach 9Uhr. Julie hat Ruby in die Schule (in China Town) gebracht; sie stürzt zur Tür herein und schreit:“ Das worldtradecenter brennt! Das müsst ihr euch ansehen“ Wir rennen runter zur corner Mercer/Princestr., wo sich viele Menschen versammelt haben und auf den rechten Turm starren. Dunkle Qualmwolken steigen aus ihm hoch. Wir denken , ein Feuer ist ausgebrochen, dann aber taucht das Gerücht auf, ein Flugzeug ist abgestürzt und in den Tower gestürzt. Die Leute telefonieren mit ihren Handys und reden miteinander. Plötzlich sehe ich ein kleines Flugzeug auf den Tower zufliegen, ich denke, ein Beobachtungsflugzeug und fassungslos sehe ich es auf den linken Turm zufliegen und im selben Augenblick stößt eine glühendrote Feuerwolke aus dem unteren oberen Drittel des Turmes. Alle schreien, rennen weg, bleiben stehen, schauen hin. Ein unwirkliches Bild, wie aus einem Film, ich stehe und starre, ich weis nicht, ob auch ich geschrien habe. Dann ist die Ecke, an der ich stehe, plötzlich menschenleer. Ich gehe zurück zum Apartment. Einer der Hauswächter hat ein kleines Radio auf die Straße gestellt. Er sagt mir, 2 Flugzeuge von Terroristen gesteuert, wären in die Türme geflogen. Ein paar Leute sind noch auf der Straße, wir sind stumm, schütteln die Köpfe.
Wir versammeln uns im Schlafzimmer vor dem Fernseher. Es heißt: Attack on America. ES IST KRIEG.
Ich renne raus. Eine riesige Rauchwolke am Ende der Straße, wieder Schreie, der Turm stürzt ein. Jetzt sehe ich draußen auch Steve mit Naomi auf dem Arm. Er sagt, komm mit, einkaufen. Wir kaufen ein wie im Tran. Vorräte an Milch und wer weiß was. Später treffen wir Judith(von umbrella), sie ist verstört, wir nehmen sie mit.
TV und immer wieder auf die Straße. Es ist wie ein Zwang. Mit Staub bedeckte Menschen kommen an uns vorbei. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Eine dritte Maschine ist in das Pentagon gerast und hat es in Brand gesteckt. Eine vierte Maschine hat ihr Ziel verfehlt und ist in einen Wald gestürzt, soweit ich das richtig verstanden habe. Julie läuft mit dem Telephon rum. Wieder sitzen wir vor dem Fernseher, mittlerweilen sind wir 7 Personen. Plötzlich höre ich Markus' Stimme im Zimmer. (Julie hat das Telephon auf Zimmerlautstärke gestellt) Ich stammele, dass wir okay sind. Immer wieder gehe ich auf die Straße runter, sitze auf der Treppe und rauche.
Ich sehe einen Mann im Bankerlook mit Aktentasche die Straße heraufkommen, im Näherkommen erkenne ich, daß er über und über mit weißen Staub bedeckt ist. Ich spreche ihn an, er bleibt stehen und alles, was er rauskriegt ist: Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Ich biete ihm eine Zigarette an, wie rauchen und schweigen, ich sehe, er steht unter Schock, dann geht er langsam, fast bedächtig weiter, Schritt für Schritt. Ich bin wie im Traum, es ist ein Alptraum, es ist die Wirklichkeit.
Im Laufe des Tages wird ab Houston- direkt neben unserem Haus -eine Straßensperre, bewacht von 2 Polizisten, angebracht. Ganz Downtownmanhattan wird abgeriegelt. Wir sind eingesperrt. Kein Auto fährt. Die Läden sind verriegelt.
Früher Abend. J. und ich gehen durch die Straßen. Nicht viele Menschen und die still und langsam. Einige hocken im Rinnstein und weinen. Wir sehen von Zeit zu Zeit dahin, wo die Türme standen. Wieder taucht eine Rauchwolke auf, ein Haus stürzt ein. Im Laufe des Tages stürzen 8 Häuser ein. Wann komme ich nach Hause? Uber Houstonstr. donnern ununterbrochen panzerähnliche Aufräumfahrzeuge. Julie hat Ruby aus der Schule geholt. Etliche Kinder werden nicht mehr abgeholt.

Mittwoch, September 20, 2006

10.September

Gestern schlimmer Tag. Viel gelesen. Jetzt sitze ich im Restaurant des Natural History Museum, esse in Dinosaurierförmchen gepresstes Chickenfleisch und möchte nach Hause.
In Gegenwart der Tarascan Steinfiguren sein und denken! Glück!
„we hanker to conquer the canker“